Fehlzündungen

Das Leben damals auf meiner Heimatinsel war recht idyllisch. Man konnte sich alles gut einrichten. Die Dorfpolizisten waren gut bekannt - und weil der Sohn des einen Polizisten mit uns auf die selbe Schule ging, wussten wir immer rechtzeitig Bescheid, wenn der auf dem Festland stationierte Radarwagen auf der Insel war. Da das immer nur für einen oder zwei Tage erfolgte, hielt man sich eben an diesen Tagen ganz strikt an jede Geschwindigkeitsbegrenzung. Es wäre unnötig und zu aufwändig gewesen, die Standorte des Blitzers herauszufinden und das Verhalten danach abzustimmen.

Man wusste: "morgen oder übermorgen ist der Blitzer wieder fort, dann ist wieder Höchstgeschwindigkeit erlaubt". Natürlich war die Höchstgeschwindigkeit unserer alten Kisten gar nicht so besonders hoch.

Ebenso wurden wir unterrichtet, wenn der "Gilb" auf der Insel war. Damals hatte fast jeder ein CB-Funkgerät. Die waren eigentlich leistungsmäßig sehr eingeschränkt. Höhere Leistungen oder Mikrofone mit Vorverstärkung waren streng verboten. Der Gilb war auch immer nur sehr kurz mit dem Peilwagen auf der Insel. An diesen Tagen funkte jeder mit der erlaubten Leistung; hatte der Gilb die Insel wieder verlassen, holten die Funker wieder die aufgemotzten Kisten unter dem Bett hervor.

Man konnte sich mit der Obrigkeit ganz gut arrangieren. Trotzdem gab es mit einem Dorfpolizisten Schwierigkeiten. Er achtete immer sehr streng auf Serienmäßigkeit, besonders beim Auspuff. Wir jedoch waren eigentlich fast alle Anhänger der schon oft widerlegten Gleichung "Lautstärke x 1,5 = Geschwindigkeit +10%".

Die erste Amtshandlung und Tuningmaßnahme bei unseren Mopeds war es, den Endschalldämpfer auszubauen. So stieg jedenfalls die gefühlte Geschwindigkeit. Einige von uns wurden erwischt; das kostete damals aber nur ein Verwarnungsgeld in Höhe von 5 Mark. Weitere Konsequenzen waren nicht zu befürchten.

Zu dem einen Polizisten entwickelte sich fast so etwas wie eine Feindschaft. Er hatte es mit einigen Kontrollen obergenau genommen und war bei uns untendurch. Das setzte sich sogar noch fort, als wir dem Mopedalter entwachsen und auf Motorrädern unterwegs waren.

Wir waren besser geworden. Die Schrauberei beschränkte sich nicht mehr auf die Schalldämpfer, die wir inzwischen überwiegend im gesetzlich vorgeschriebenen
Rahmen beließen, sondern wir wurden Experten für Vergaser und Zündung. Die oft vorkommenden Defekte schulten uns. Die einfachen Bing-Vergaser konnten wir selbst im Dunklen auseinandernehmen und wieder zusammensetzen.

Durch geschickten Umgang mit dem Zündzeitpunkt konnte ich bei meinem Motorrad mit einem Trick ganz gut absichtlich Fehlzündungen hervorrufen. Und die eigneten sich wunderbar, um den Polizisten zu ärgern. Er wohnte am Fuße einer kleinen Erhebung, gerade innerhalb des Ortsschildes. Er war Hühnerzüchter und sehr begeistert von seiner kleinen Zucht. Oft saß er vor seinem Haus auf der Bank und guckte den Hühnern zu.

Ich kam dann gerne von oben mit mächtig Geschwindigkeit, musste stark abbremsen wegen der Ortschaft, schaltete herunter, machte das Gas wieder etwas auf - und - KRAWUM - hat geklappt! Eine Fehlzündung wie Kanonendonner - und mehrere kleine Fehlzündungen, bis der Motor ruhig und zufrieden seinen gewohnten Ton wieder aufnahm! Zufrieden sah ich im Rückspiegel, dass die Hühner wild durcheinanderflatterten und der Polizist von seiner Bank aufgesprungen war. Das behielt ich ein paar Tage durch, aber dann war es mir doch zu blöd. Außerdem hatte ich andere Dinge im Kopf. Ich musste verreisen, um mir in Berlin eine Wohnung und einen Ausbildungsplatz zu suchen.
Es war einige Tage vor Weihnachten. Damals war der Verkauf von Feuerwerkskörpern noch nicht so stark reglementiert wie heute. Es gab schon längere Zeit vor Jahresende Knallerei und Raketen zu kaufen. Das lag vielleicht auch daran, dass die Verkäuferin eines Ladens bei uns im Dorf wohnte und Kinder und Jugendliche mit dem Knallzeug versorgte. Ich hatte eigentlich kein großes Interesse daran, aber mein jüngerer Bruder war richtig wild nach dem Zeug. Schon lange vor Silvester strolchte er mit seinen Kumpels durch das Dorf, um Raketen zu zünden oder mit Knallern die Leute zu erschrecken. Ein Wunder, dass damals alles ohne Brände und Verletzungen abgegangen ist. Meiner Mutter war es bald zu viel. Die ersten Nachbarn hatten sich schon über meinen Bruder beschwert. Sie ließ sich die Knaller aushändigen und versteckte sie im Schlafzimmer. Mein Bruder fand die Knaller natürlich und war bald darauf wieder mit ihnen unterwegs.

Abends stellte sie ihn zur Rede, kassierte die Knaller und Raketen ein und verpasste ihm eine gehörige Strafe: er durfte am nächsten Samstag nicht den Beat-Club sehen.

... und sie dachte sich ein neues Versteck für das Knallzeug aus, das dann wesentlich besser war.

Noch vor Weihnachten war ich aus Berlin zurück. Es hatte alles geklappt. Ich hatte eine Vorpraktikantenstelle und eine kleine Wohnung zur Untermiete gefunden.

Nun war es Zeit, meinen Freunden von den Neuigkeiten zu berichten. Und weil die Straßenverhältnisse ganz gut waren, setzte ich mich auf mein Motorrad. Ich hatte ja auch kein Auto. Die Maschine sprang nach der längeren Pause gut an, kam mir aber sehr leise vor. Vielleicht lag das aber daran, dass ich mehrere Tage dem Großstadtlärm ausgesetzt war.

Nach kurzer Fahrtstrecke merkte ich, dass ich etwas vergessen hatte, wendete und fuhr zurück. Nur noch die Anhöhe runter. Wieder viel zu schnell, runterschalten, soll ich mal wieder? Naja, ein paar Fehlzündungen können nichts schaden!!!

Krawum!!! Als ich jedoch die abebbenden weiteren Fehlzündungen erwartete, wurde ich enttäuscht: es blieb bei! Es knallte und zischte und krachte und hörte so schnell nicht wieder auf. Im Rückspiegel sah ich, dass der Polzist aus dem Haus gerannt war und irgendetwas in ein Notzbuch schrieb.

Ich fuhr noch ein kurzes Stück. Hinter dem Buswartehäuschen, von der Straße kaum zu sehen, stellte ich den Motor ab. Das Knallen bleib jedoch noch eine Weile. Dann sah ich die Bescherung: der Auspuff war schon ganz angekohlt. Aus seinem Inneren flogen Papierschnipsel auf die Straße. Rotes Papier - kam mir irgendwie bekannt vor!

Die Knallerei im Auspuff hörte dann doch noch auf. Ich startete den Motor. Er schien keinen Schaden erlitten zu haben. Ich fuhr das kurze Stück zu unserem Haus. Inzwischen wartete meine Mutter vor dem Haus. "Du warst doch nicht mit dem Motorrad unterwegs?"

"Doch", sagte ich, "aber jemand hat mir..."

Da fing sie an zu lachen - sie schüttelte sich, Tränen kullerten über ihr Gesicht und sie machte sich fast in die Hose.
Sie hatte, um ein wirklich gutes Versteck zu haben, die Knaller meins Bruders - Stück für Stück - in den Auspuff gesteckt! Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ich noch vor Silvester fahren würde.

Ich war nicht halb so begeistert wie sie. Der Auspuff hatte richtig Schaden genommen. Ich konnte zwar die Knaller-Rückstände im Inneren entfernen, aber die Verfärbungen gingen nicht weg. Bei der Endmontage machte ich dann noch einen dummen Fehler. Um Auspufftüte und Krümmer zusammenzufügen, steckte ich den Krümmer ein kurzes Stück in die Auspufftüte und stieß dann mehrmals mit dem schöne Chromendteil auf den Boden, um meinen Schiebebemühungen mehr Nachdruck zu verleihen. Leider wurde das empfindliche Endstück völlig eingedrückt. Als ich das wieder zurückbiegen wollte, brach es ganz ab. Dumm gelaufen!!! Das Ende habe ich mit einer Feile geglättet und dann den Auspuff wieder angeschraubt.

Die Maschine war nun zwar etwas lauter, aber so schlimm war das nicht.

Drei Tage später kam ein Brief von der Ordnungsbehörde. Ich sollte mein Motorrad beim TÜV auf ordnungsgemäßen Zustand überprüfen lassen. Man unterstellte mir, ich hätte die Auspuffanlage manipuliert.

Naja, ich nicht, aber meine Mutter konnte ich nun nicht mit dem Motorrad zum TÜV schicken. Bis zum Termin waren es noch ein paar Tage. Ich wusste, dass in der Prallelklasse jemand mit einem änlichen Motorrad war. Es handelte sich zwar um ein leicht abgewandeltes Modell, aber der Auspuff musste passen.

Ich kam mit dem guten Mann ins Gespräch. Nach der Schule gingen wir zu ihm und er zeigte mir ganz stolz seine R27. Der Auspuff war genau die gleiche Ausführung wie bei meiner Maschine - nur heil und chromglänzend. Den Auspuff hat er mir dann für ein paar Tage geliehen.

Ruckzuck war der Auspufftausch vollzogen.

Beim TÜV bekam ich dann die gewünschte Bescheinigung. Ich habe dann auch gleich eine neue Plakette bekommen, obwohl ich erst in einem halben Jahr dran gewesen wäre. Der Tüvprüfer war richtig begeistert von dem gut erhaltenen Auspuff.

Die Bescheinigung habe ich dem Polizisten gebracht. Damit war der Fall dann erledigt. Wäre nur peinlich gewesen, wenn ich ihn am nächsten Tag im Zug getroffen hätte. Ich trug ein gut in alten Bettlaken verpacktes chronglänzendes Rohr...

Meinen richtigen Auspuff habe ich dann wieder montiert und bin noch etliche Jahre damit gefahren. Nur die TÜVprüfungen waren immer ein kleines Problem. Irgendwann habe ich mir dann doch mal einen gebrauchten Auspuff gekauft, der innerlich wie äußerlich in Ordnung war.

Alle Geschichten:© Anne-Mette Gerdsen 2005-2020
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